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Rezension 'Ministerium der Träume'

Der Roman 'Ministerium der Träume' von Hengameh Yaghoobifarah, erschienen 2021 bei Blumenbar des Aufbau Verlags, hat die Literaturkritik uneinig werden lassen. Viele schwärmen für den Text, die sprachliche Vielfalt und die besondere Innensicht auf die Protagonistin Nasrin, aus deren Perspektive wir die Geschichte erleben. Andere sehen gerade in diesen Besonderheiten die Schwächen des Romans, die Ungeschliffenheit und Monotonie. Aber zurück an den Anfang:


Beim zweiten Klingeln verließ ich das Bett und zwang mich in den Flur. 'Ja, hallo?', krächzte ich in den Hörer der Türsprechanlage und spürte mein Herz rasen, als sich am anderen Ende der Leitung die Polizei ankündigte. Überfordert drückte ich ihnen die Eingangstür auf. Während die Beamten sich in den dritte Stock zu mir schleppten, kontrollierte ich alle offenen Flächen im Wohnzimmer auf Graskrümel, Pillen und weiße Pulverklümpchen. Im Spiegel bemerkte ich, dass ich immer noch mein dreckiges T-Shirt trug, und zog mir wenigstens eine Hose an. Eine Faust schlug forsch gegen meine Wohnungstür. Ich atmete tief aus und drückte die Türklinke herunter. (Hengameh Yaghoobifarah: Ministerium der Träume. Berlin 2021, 16f.)

Zentral für die Geschichte sind die Schwestern Nasrin und Nushin. Letztere verstirbt zu Beginn des Romans, wie die Polizeibeamten Nasrin erklären, aber diese ist sich sicher, das hinter dem vermeintlichen Autounfall mehr steckt, als nur eine Sekunde Unaufmerksamkeit. Nasrin bekommt das Sorgerecht für Nushins jugendliche Tochter Pavin, deren Verhalten ihr gegenüber nicht nur abweisend, sondern auch beleidigend wird. Nasrins Unfähigkeit sowohl zur Vormundschaft als auch zum Vorbild werden ihr immer wieder bewusst, sie fühlt sich überfordert und hilflos, weiß nicht weiter, aber gibt trotzdem ihr bestes, um Pavin nicht zu verlieren. Kompensiert wird dies durch Nasrins Drogenkonsum, der ihr zwar Ruhe verschafft, aber auch bewusst macht, wie wenig sie sich selbst bis dahin mit Verantwortung auseinandergesetzt hat. Gespickt wird der Roman von gelegentlichen Rückblenden in die Kindheit der Schwestern, wobei besonderes Augenmerk auf die rassistischen Anfeindungen durch Mitschüler*innen gelegt wird, weshalb sowohl Nasrin als auch Nushin sich bald darauf der Antifa anschließen. Diese Zugehörigkeit prägt das Leben und Erleben der beiden zutiefst und spielt auch in der Aufklärung der Hintergründe von Nushins Tod eine entscheidende Rolle.


Der Roman entwickelt sich wie eine Detektivgeschichte, in der Nasrins Wunsch nach Klarheit die treibende Kraft ist. Die formale Struktur lässt keine Möglichkeit offen sich als Leser*in zu verirren und verschafft Einblicke in das Lebens Nasrins, ihre Erfahrungen als Migrantin, ihr chaotisches Leben in der Clubszene, die Entdeckung ihrer Homosexualität. Dieser Fokus verleiht dem Roman seine Ausdrucksstärke, denn gezeichnet wird das Porträt einer jungen Frau, die man durch die Zeilen hinweg immer besser kennenlernt und deren Handlungen sich zu einem stimmigen Charakterbild zusammenfügen. So auch die Beschreibung des Elternabends, zu dem Nasrin als Pavians Vormund geht:


Sie bemerken uns zunächst nicht, sondern lachen sich kaputt und rauchen ihre Parisiennes und Vogues. Mit ihren teuren Haarschnitten, ihrer Clanen Kleidung und den Designerhandtaschen ekeln sie mich härter an als mit ihren hohlen Sprüchen. Plötzlich fühle ich mich, als wäre ich selber wieder ein Teen, Opfer dieser drei Mobberinnen und ihrer Intrigen. Solche Mean Girls hatte ich auch in meiner Klasse, solche Frauen kaufen neben mir ein, sie trainieren neben mir im Fitnessstudio. Sie sind meine Nachbarinnen, meine Arbeitskolleginnen, meine Ex-Freundinnen. Sie sind Klischees und gleichzeitig so verschieden. Aber sie haben alle eine Sache gemeinsam: Ihr Zartheit, mit der sie mich erdrücken. (S. 134)

Was hier sichtbar wird ist das Leitmotiv des Romans: die Dichotomie des Wir und der Anderen. Diese spiegeln sich in einzelnen Szenen von Nasrins Kindheit, ihrem Erwachsen-werden und schließlich auch im Klassenzimmer der Schule, das sie als Erwachsene betritt. Gefühle werden festgehalten und beschrieben, erklärbar gemacht und schaffen auf diese Weise Identifikation. Die gelegentlichen Übertreibungen, die sich aus diesem Stil ergeben, fallen daher nicht allzu sehr ins Gewicht. Yaghoobifarah beweist hier deskriptives Talent und gelingt auch der zu lobende Übergang zum atmosphärischen Schreiben.


Was jedoch das Leseerlebnis merkbar trübt ist die Monotonie, der der Roman schlussendlich verfällt. Die Geschichte zieht sich wie Kaugummi, denn der Abschluss, auf den die Entfaltung der Geschichte bereits anfangs abzielt, möchte nicht in Erscheinung treten. Die anfangs noch konsequent aufrecht erhaltende Spannung verfliegt mit den letzten Seiten, die dem Roman besser gestanden hätten, wenn sie gekürzt worden wären.


Trotzdem gelingt Yaghoobifarah, die mit diesem Roman ihr Debüt bestritten hat, ein gelungenes Figurenporträt, das zwar nicht gänzlich überzeugt, aber ihr stilistisches Potenzial erkennen lässt und sie hoffentlich noch einige weitere Texte mit diesen Fähigkeiten umsetzt.




Hengameh Yaghoobifarah: Ministerium der Träume. Berlin 2021.

Erschienen bei Blumenbar (Aufbau Verlag)

22 Euro

Selbstgekauft



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