Deborah Levy hat in den letzten Jahren mit ihren Büchern großes Aufsehen erregt. 'Heim schwimmen' ist 2011 zum ersten Mal erschienen und hat Levy eine Nominierung für den Man Booker Prize im darauffolgenden Jahr beschert. Doch die großen Erwartungen an diesen ersten Roman, den ich von Levy gelesen habe, haben sich leider nicht erfüllt. Was der Klappentext als Traum an der Côte d'Azur verspricht und sofort hoffnungsvoll an Francoise Sagan denken lässt, löst sich auf den Textseiten leider nicht ein.
Es sollte nicht sein, dass er in ihr nach Liebe suchte, aber er konnte nicht anders. Er würde bis ans Ende der Welt laufen, um Liebe zu finden. Er versuchte es sich zu versagen, aber je mehr er sich anstrengte, nicht zu suchen, desto mehr gab es zu entdecken. Er sah sie an einem britischen Strand, eine Thermoskanne Tee in der Tasche, wie sie den kalten Wellen auswich, ihren Namen in den Sand schrieb, den Blick auf die Atomkraftwerke in der Ferne richtete. (S.91)
Protagonisten des Romans sind Joe und Isabel Jacobs mit ihrer Tochter Nina und das befreundete Ehepaar Laura und Mitchell. Diese fünf wollen im gemieteten Ferienhaus ihren Sommer verbringen und projizieren ein vermeintliches Idyll, das letztendlich zerbricht, als sie eine Frau im Swimmingpool des Hauses treiben sehen, die sich als Kitty Finch vorstellt und als selbst deklarierte Dichterin den Familienvater Joe verführen möchte. So der Einstieg in den Roman, der doch neugierig darauf macht, was es mit Kitty und ihrer Verführungsmotivation auf sich hat und ob es ihr schlußendlich gelingen wird. Kitty erscheint dabei als eine Figur, die auch einem Groschenroman hätte entsprungen sein können, die Beschreibungen ihrer Figur sind wohl intendiert, aber ihnen fehlt das gewisse Etwas. Ihr fehlt es nicht an ausgeschmückten Beschreibungen ihrer Fingernägel oder blumigen Adjektiven, die sich an jeder passenden und unpassenden Stelle einfügen lassen, aber an Hintergrundinformationen ihrer Biografie, die mit den Worten Depression und Suizidgefährdung unzureichend angedeutet wird: "Ihrer Ansicht nach litt Katherine Finch an psychischer Angst, Gewichtsverlust, Schlafmangel, gesteigerter Erregbarkeit, Selbstmordgedanken, einer pessimistischen Einstellung hinsichtlich der Zukunft und Konzentrationsstörungen." (S. 81)
Der Roman ist unterteilt in die Wochentage nach der Entdeckung Kittys im Pool und die Perspektive wechselt personal zwischen den einzelnen Figuren hin und her. Was als gute Möglichkeit erscheint die Geschichte aus unterschiedlichen Winkeln zu erläutern, Sichtweisen auszudifferenzieren und sprachliches Gespür für die Figuren zu entwickeln, die sich in Alter, Motivationen und Hintergründen aussagekräftig unterscheiden, scheitert leider vollkommen. Die häufigen Perspektivwechsel haben zur Folge, dass man als Leser:in sich der Geschichte nicht annehmen kann. Im Laufe des Romans treten noch weitere Figuren in die Handlung ein, deren Bedeutung für die Geschichte jedoch unklar erscheinen. Nina, die als Teenagerin vor ihren eigenen Schwierigkeiten im Sommerurlaub steht, erscheint vielmehr wie eine Karikatur, als eine Figur, die sich zwischen den einzelnen Handlungssträngen sinnstiftend bewegt. Ihre Zuneigung zu Kitty, die für sie beinahe eine Mutterfigur darstellt, erscheint überspitzt, wie auch der überwiegende Teil der Kapitel, in denen Einblick in das Innenleben der Figuren gegeben werden soll. Diese Art lässt sich in den Figurenbeschreibungen, hier am Beispiel der Madeleine Sheridan, als Trend erkennen:
Der Geruch von gebranntem Zucker machte sie gierig auf die Nüsse, und sie hoffte, dass sie daran endlich ersticken würde. Ihre Nägel wurden spröde, ihre Knochen schwach, ihr Haar dünn, und ihre Taille gehörte endgültig der Vergangenheit an. Sie hatte sich im Alter in eine Kröte verwandelt, und wenn irgendjemand mutig genug wäre, sie zu küssen, so würde sie sich nicht in eine Prinzessin zurückverwandeln, denn sie war nie eine gewesen. (S. 76)
Gelungen ist die Wassersymbolik, die den Roman durchzieht, von Anfang bis Ende. Von Kitty, die zuerst im Swimmingpool aufgefunden wird und deren schriftstellerisches Debüt 'Heim schwimmen' heißt, bis zu Joe, der ein Tattoo mit den Worten 'zu regnen' trägt und sich schließlich erschießt und im Swimmingpool des Hauses gefunden wird. Deborah Levy beweist damit sehr wohl ihr Geschick im Umgang mit Farbsymbolik sowie Leitmotiven, aber kann dies nicht auf allen Ebenen des Romans aufrecht erhalten. Das größte Defizit des Romans stellt also seine Handlung dar, die sich nicht zu einem großen Ganzen zusammenfügen lässt und die Lektüre mühselig werden lässt. Aber die sprachlichen Komponenten lassen Hoffnung darauf, dass die nächsten Romane, die ich von Levy lesen möchte, überzeugender sind!
Liebsten Dank an den Wagenbach Verlag für das Rezensionsexemplar!
Deborah Levy: Heim schwimmen. Berlin 2021.
12 Euro