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Vielleicht haben sie etwas gefunden, was sie vorher nicht finden konnten


Malin Kraus

Nataša Kramberger


10 Uhr, ein Café im Wedding. Wir sitzen inmitten einer Berliner Baustelle. Das türkise Buch zwischen uns, der Laptop eingepackt, denn die sind auf den kleinen Außentischen nicht erlaubt. Es ist das erste Interview. Nataša bringt eine kleine pastellrosane Tasche und eine ausgesprochene Gelassenheit mit. Woher sie die hat, erfahre ich später.


M: Wie kam der Titel „Vefluchte Misteln“ zustande?

N: Das Buch hat im Slowenischen einen anderen Titel, übersetzt ungefähr „Vergleichbare Hektare“. Auf Deutsch funktioniert das leider nicht und deswegen hatten wir lange Zeit das Problem, was machen wir mit dem Titel?– Und dann kamen wir auf Verfluchte Misteln und der gefällt mir wirklich sehr.

M: Kam es im Übersetzungsprozess häufig vor, dass es Probleme in der Übertragung von Sprichwörtern oder sprachlichen Eigenheiten aus dem Slowenischen gab?

N: Ja, auf jeden Fall. Für eine Schriftsteller:in ist das fast wie eine Tragödie oder ein Trauma, ist das jetzt noch mein Buch oder das von jemand anderem? 2010 erhielt ich den Preis der Europäischen Union für einen anderen Roman - das Buch wurde auch übersetzt- und da fingen die ersten Schwierigkeiten an. Mein Freund, der Italienisch spricht, hat mich bei der italienischen Übersetzung unterstützt und da konnte ich meinen ganzen Frust rauslassen, wenn wir keine gelungene Übersetzung finden konnten. Aber wir lesen natürlich selbst viele Bücher nur in ihren Übersetzungen und nicht im Original. Für das Slowenische ist es sogar noch ein bisschen schlimmer, weil nur knapp 2 Millionen Menschen diese Sprache sprechen und dann ist eine Übersetzung umso wichtiger und schöner.

M: Das ist verständlich, denn es soll schließlich dein Buch bleiben, auch in der Übersetzung.

N: Ja, genau. Es ist schon wichtig, dass die Übersetzerin die gleichen Sachen toll findet oder ein Gefühl für die Dinge hat, die dir wichtig sind.

M: Mir ist eine Redewendung aus deinem Buch besonders im Kopf geblieben, nämlich „sie rannte herum wie ein kopfloses Huhn“. Gibt es die im Deutschen wie im Slowenischen oder hat hier auch eine sinngemäße Übertragung stattgefunden?

N: (lacht) Die gibt es tatsächlich auch im Slowenischen. Mit der deutschen Fassung hatten wir tatsächlich ein bisschen Glück (oder auch Pech), weil wir in der Gegend, aus der ich komme, der südlichen Steiermark, viele deutsche oder dem deutschen entlehnte Wörter benutzen. Ich benutze zum Beispiel „rikverz“ für „rückwärts“, das ist unser Dialekt. In Slowenien versteht jede*r, dass es sich dann um ein Dialektwort handelt und was damit ausgedrückt werden soll, aber in der Übersetzung ist das nicht nachvollziehbar.

M: Gab es die Überlegung, dass diese transparenten Wörter auch in der Übersetzung berücksichtigt und dementsprechend geklammert werden?

N: Definitiv. Wir haben überlegt die deutsch-slowenischen Wörter beizubehalten, um das Dialektale auszudrücken, aber haben schnell gemerkt, dass das so nicht funktioniert, weil es einfach zu viel wäre. Aber damit muss man dann klarkommen.

M: Das Leben auf dem Dorf wird sehr prägnant in deinem Buch beschrieben, nicht nur lokal, sondern auch zwischenmenschlich erkennbar in den Beziehungen untereinander. Verhandelt dein Buch auch diese Generationsfrage, die sich gerade zwischen Großmutter und Enkelin auf dem Land konkretisiert? Spielt das für dich eine wichtige Rolle?

N: Ich finde alle Frauen dieser Generation unglaublich großartig, gerade auf dem Land. Sie leisten so viel und haben so viel zu sagen – man muss ihnen zuhören. Damit werde ich mich auch in Zukunft noch mehr beschäftigen. Wenn wir über Feminismus sprechen, dann meinen wir meist urbane Frauen, aber was da noch dahinter steckt, welche Stimmen wir noch nicht gehört haben, wie die der Großmutter im Buch, das ist unheimlich wichtig. Ich habe so viele Geschichten von meiner Oma gehört, erzählte Geschichten, die, als meine Oma sie selbst gelesen hat, ihre Realität widerspiegeln. Ich habe diese Geschichten gehört und aufgeschrieben. Aber erst, als ich das Buch beendet habe, habe ich es verstanden. Diese

Erzählungen sollten nicht nur als Geschichten gelten, sondern auch als Erfahrungen, die mich stärker machen. Und das macht es, glaube ich, authentisch.

M: Deine Figuren sind sehr lebensnah, sie sind nicht stilisiert oder überzogen. Ist diese Art der Wiedergabe der Realität das Hauptmerkmal des Romans für dich?

N: Als ich das Buch beendet hatte, war ich schrecklich nervös, dass es zu ehrlich ist. Es ist mein erstes autobiografisches Buch und es gab zu viel Ich in diesem Buch, das hat mir Angst gemacht. Dann habe ich das Buch sechs Monate nicht mehr angeschaut nach seiner Veröffentlichung, aber die Reaktionen der Leser:innen waren total positiv. Sie waren berührt. Vielleicht, weil sie etwas gefunden haben, was sie vorher nicht finden konnten. Wir machen so viele poetische und pathetische Aussagen über die Natur und Landwirtschaft, aber die Natur ist brutal und das Buch mag hart sein für diejenigen, die mit der Idealisierung der Natur vertraut sind.

M: Hattest du Zweifel in Bezug auf diesen Schritt?

N: Damals wusste ich nicht, dass die Dinge nach einer gewissen Zeit gut werden. Die Erde braucht Zeit, es ist alles schon zerstört und es gibt kein Gleichgewicht mehr. Man muss also sehr mutig oder verrückt sein, um noch aufs Land zu ziehen und als Landwirtin zu arbeiten.

M: Das Buch hat großen Anklang bei der Fridays for Future Bewegung gefunden. Wie siehst du deine Rolle als Schriftstellerin dazu?

N: Ich musste meine eigene Geschichte finden. Langsam habe ich verstanden, dass ich immer noch Schriftstellerin bin und erzählen kann. Jetzt habe ich einen Bauernhof und bin Landwirtin. Vielleicht ist meine Mission, dass ich darüber schreiben kann. Ich schreibe auch Kolumnen über Agrarwirtschaft, etc. und ich habe verstanden, dass meine Erfahrungen hilfreich sind. Mit Literatur kann man viel erreichen und manchmal sogar mehr. Wir können diskutieren, aber die Literatur hat die Kraft zu verbinden. Das ist ein Geschenk für mich. Die Leute können so nicht nur nachdenken, sondern auch nachfühlen – dann kommt die Aktion. Ich habe keine Illusion, dass ich die Welt ändern kann, aber ein bisschen was kann man machen. Gerade gibt es jeden Freitag Proteste in Slowenien gegen die Regierung und die haben immer etwas künstlerisches. Ich bin sehr stolz darauf, dass das passiert.

M: Je mehr Menschen davon erreicht werden, desto stärker wird die Zugkraft, wie diese Protestaktionen zeigen. Durch deinen Roman berührt das Thema der Landwirtschaft in seinen positiven und negativen Aspekten eine ganz neue Leser:innenschaft. Was war dir besonders wichtig hervorzuheben?

N: Man muss an irgendwas glauben. Das ist auch eine Lektion von Landwirtschaft. Wenn wir nur über die Tragödien nachdenken, dann ist es echt tragisch. Es ist Vertrauen und auch ein bisschen Glauben. Als ich das Buch geschrieben habe, gab es kein Vertrauen, aber jetzt vertraue ich. Man muss die Katastrophen zwar beschreiben, aber weiterhin glauben.

M: Ist das etwas, was sich aus der Zeit heraus ergibt?

N: Ja. Ich sehe die Vögel und ich bin überwältigt. Ich war im Frühjahr in meinem Lavendelfeld und ich habe hunderte Schmetterlinge gesehen und wiedererkannt aus meiner Kindheit. Früher war das normal, aber jetzt ist es auf ein Mal etwas besonderes für mich. Man muss dem nur eine Plattform geben. Man muss verstehen, dass das alles von selbst passiert. Man braucht nur Zeit.

M: Sind die Ruhe und das Gleichgewicht etwas, was sich vom Land auf einen Menschen übertragen kann?

N: Eine schöne Frage, ich denke schon. Am Anfang hatte ich kein Gefühl für Zeit. Wir haben immer das Gefühl alles kontrollieren zu wollen. Und dann lief es aus dem Ruder. Aber jetzt bin ich ruhiger, ich habe das Jahr angenommen. Ich bin geduldiger und verständnisvoller für Fehler und Schwierigkeiten. Die Ruhe kommt, weil du weißt, wenn die Sonne scheint, dann wird der Dinkel besser wachsen und es gibt weniger Äpfel, weil es Frost im Frühjahr gab. Damit rechnest du auf ein Mal.

M: Also müssen wir unser Denken verändern und akzeptieren, dass wir, wenn wir uns Zeit nehmen, wir Zeit gewinnen?

N: Ein gutes Beispiel ist der Obstgarten, den wir bei uns zuhause haben. In der Agrarindustrie sind die niedrigen Bäume beliebt, weil sie schnell viele Früchte tragen. Bei uns gibt es hohe Bäume, sie brauchen zwar 15 Jahre., um ausreichend zu wachsen und Früchte zu tragen, aber sind viel ergiebiger und nachhaltiger. Was für Bäume pflanzen wir also, für uns oder für unsere Kinder?


Nataša Kramberger: Verfluchte Misteln. Verbrecher Verlag 2020.

Liebsten Dank an den Verbrecher Verlag für das Rezensionsexemplar!

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