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Rezension 'Grundsätzlich unvorbereitet'

Und dies ist es, was ich am Theater neben der düsteren Ausstrahlung eines klassischen Theatersaals oder dem mich seit Kindertagen euphorisierenden Geruch nach Holz und Farbe und dem Kreischen der Metallsägen in den Werkstätten so liebe: dass in einem Theater eins und eins nicht zwei ergibt, sondern etwas völlig anderes. Dass alle Irrtümer der wirklichen Welt korrigiert werden können, wenn auch nur für einen Abend. (S.106)

Milo Rau hat 99 Texte über das Theater, seine Erfahrungen als Regisseur und kleine Anekdoten geschrieben, die man in diesem Buch wiederfinden kann. Er ist ein polarisierender Drehbuchautor, Regisseur und Kritiker, der mir vor allem durch seine Arbeit an der Berliner Schaubühne bekannt war. Er schreibt nicht nur selbst umwerfende Theaterstücke, wie 'Dämonen', 'Amnesie' oder 'Pornografia', sondern inszeniert auch in Europa zahlreiche Theaterstücke und dreht Filme, zuletzt 'Das neue Evangelium' (2020).


Mit viel Ironie widmet sich Rau in den vorliegenden Texten dem Theaterbetrieb, Pressekonferenzen, Reisen und Journalist:innen. Überzeugend dabei sind besonders die kurzen politischen Einschübe, die einen Überblick über das Schaffen Raus geben. Die Struktur des Buches gibt die letzten Jahre Raus wieder, von 2014 bis 2021, chronologische Einsichten in die Arbeiten am Theater, an Projekten, wie dem „Kongo Tribunal“ und „Five easy pieces“. Er erläutert einzelne Arbeitsabschnitte und Vorüberlegungen, Recherchephasen und Premieren, die fürchterlich schief gelaufen sind. Wir erhalten so Einblicke in das Schaffen des Regisseurs, die mit ungeheurer sprachlicher Pointierung auftrumpfen. So auch das Kapitel: Ich bin Ophelia:


Als 2014 mein Film 'Die Moskauer Prozesse' ins Kino kam, wurde ich gefragt, warum ich mich mit all den punischen Rechtsverdreher:innen und orthodoxen Radikalen abgeben würde. Meine Antwort war: Würde man aus Shakespeares 'Hamlet' alle Arschlöcher und Zyniker entfernen, bliebe am Ende nur Ophelia übrig. Ophelia ist sicher die integerste Figur in 'Hamlet', doch auch die langweiligste. Das Gleiche gilt für die reale Welt: Die amoralischsten Figuren sind oft die interessantesten. (S.37)

Das Buch erhebt keinen Anspruch auf theatertheoretische Erklärungen, aber verschafft doch Einblicke in das Denken und Arbeiten eines der bedeutendsten Regisseur:innen des Gegenwartstheaters. Nicht nur die enormen Ausmaße der intensiven Recherche und Vorbereitungen der einzelnen Aufführungen, sondern auch das subjektive Empfinden Raus während der Proben, Interviews und Sommerpausen wird geschildert. Mühsam erscheint der Kampf der Rechtfertigung seiner Kunst und in Teilen redundant, was zu einer gewissen Ironie seinerseits verleitet. So gibt es nicht nur einen Step-by-Step-Plan für Kritiken, sondern auch zahlreiche Anspielungen und Verweise auf Phänomene des Gegenwartstheaters. Die Sprache ist einfach, aber nicht beliebig. Man hat das Gefühl, dass Rau jederzeit die richtigen Worte zu finden vermag und auch wenn er sie mal nicht findet, dies mit absoluter Leichtigkeit hinnehmen würde.


Die Lektüre des Buches erfordert ein gewisses Maß an Faszination für das Theater und seine Komponenten. Fachliches Wissen ist dabei keineswegs nötig, es gibt keine Aufführungsanalysen oder theoretische Abhandlungen. Vielmehr ist es ein gelungener Einstieg und gleichsam tiefer Einblick in das Schaffen Milo Raus, das mich nachhaltig beeindruckt und begeistert hat.

Eine große Empfehlung und für Theaterfans ein Muss!


Milo Rau: Grundsätzlich unvorbereitet. Leck 2021.

Einen großen Dank an den Verbrecher Verlag für das Rezensionsexemplar!







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